„Kommt das Christkind auch zu Bruno?“ fragt Silke.
„Bruno? Welcher Bruno?“ will Oma wissen.
„Oma!“ Silke klingt vorwurfsvoll. „Bruno natürlich! Kösters Hund!“
„Ach so, der Bruno!“ Oma schmunzelt; denn seitdem die Kösters, die neuen Nachbarn, diesen neuen Hund haben und seitdem Silke ihn manchmal ausführen darf, ist nur noch von Bruno die Rede. Silke nervt ihre Eltern mit ihrem Wunsch: „Ein Hund! Bitte! Genau so einen wie Bruno! BITTE!!
„Also“, fängt Silke wieder an, „kommt das Christkind auch zu Bruno?“
„Ach, Silke“, Oma weiß nicht recht, was sie sagen soll. „Was meinst du denn mit Christkind?“
„Das Christkind, das die Geschenke bringt, natürlich!“ Silke kann sich nur wundern.
„Und tut es das wirklich?“
„Oma! Natürlich nicht. Das Christkind ist so was wie der Weihnachtsmann. Den gibt’s auch nicht! Ich bin doch kein Baby mehr!“
„Na denn kannst du doch das Christkind spielen und dem Bruno zu Weihnachten ein Leckerli schenken“, meint Oma.
„Das mach ich bestimmt!“ , sagt Silke mit Nachdruck.
Nach einer Weile räuspert sich Oma. „Silke, ich finde, das Christkind gibt es doch.“
„Wie meinst du das denn?“ Silke ist erstaunt.
Oma sagt: „Also, ich meine eigentlich das Christuskind. Oder vielmehr, das Jesuskind.
„Ach so, der Jesus, der im Stall von -“ Silke weiß nicht weiter. Das letzte Weihnachten ist schon so lange her.
„Der Jesus, der im Stall von Bethlehem geboren wurde!“ sagt Oma. „Das ist ja der Grund, warum wir überhaupt Weihnachten feiern. Also dass Gott zu den Menschen gekommen ist.“
„Nur zu den Menschen?“ fragt Silke
„Ja“, erwidert Oma. „Nur zu den Menschen.“
„Und die Hunde? Sind sie Gott egal? Und all die anderen Tiere auch? Das geht doch nicht!“ Silke ist entrüstet.
„Lass uns mal nachdenken“, schlägt Oma vor. „Da fällt mir ein, dass Martin Luther -“
„Der die evangelische Kirche gestartet hat, der Luther?“ fragt Silke dazwischen.
Oma holt Luft: „Ja, genau. Der hat einmal gesagt, wenn Jesus für die Gänse oder die Kühe gekommen wäre, dann wäre er eine Gans oder eine Kuh geworden.“
„Jesus eine Gans oder eine Kuh?“ Silke findet das zum Lachen.
„Das ist eigentlich gar nicht zum Lachen“, meint Oma. „Es gibt ja viele Menschen, die denken, dass Gott sich nicht für die Tiere interessiert und dass man deshalb mit ihnen machen kann, was man will.“
„Aber das geht doch nicht!“ Silke regt sich auf. „Hat dein Luther auch so gedacht?“
„Nein, Silke, Luther hat gesagt, dass die Tiere so leben, wie Gott sie geschaffen hat. Deshalb brauchen sie keinen Jesus. Aber die Menschen brauchen Jesus. Sie haben ihn bitter nötig -“
„Weil sie oft so gemein sind?“ fragt Silke. „Und Krieg machen? Und sich tot schlagen? Klaus sagt, die Menschen sind gefährlicher als alle anderen Tiere. Aber Löwen sind doch auch gefährlich -“
„Dein Bruder hat recht“, sagt Oma. „Wir Menschen sind gefährlicher als alle anderen Lebewesen auf der Erde. Die Tiere nehmen sich nur so viel, wie sie zum Leben brauchen -“
„Aber sie töten auch“, wirft Silke dazwischen. „Ja“, erwidert Oma, „aber sie morden nicht. Sie sind nicht böse.“
Silke und Oma schweigen eine Weile.
„Oma“, sagt Silke plötzlich, „Weihnachten können wir uns eigentlich sparen. Dieser Jesus nützt nichts.“
Oma blickt ihre Enkeltochter entgeistert an. Silke fährt fort: „Weil die Menschen ja doch böse bleiben. Dieser Krieg jetzt…“
„Ach, Silke“, antwortet Oma. „Gerade deshalb! Jesus ist wichtiger als je zuvor! Er zeigt uns die Alternative -“
„Alterna – was?“
„Alternative“, Oma setzt neu an. „Was ich damit sagen will: Jesus hat eine andere Kraft in die Welt gebracht. Und auf die müssen wir uns immer wieder besinnen. Die Kraft der Liebe! Die Kraft der Barmherzigkeit! Gerade weil jetzt wieder Krieg ist.“
„Ach, Oma“, sagt Silke traurig. „Wo ist denn diese Kraft?“
„Sie ist überall. Auch in Russland. Auch in der Ukraine. Bei allen Menschen, die helfen. Bei denen, die nach Auswegen suchen. Nach neuen Wegen. Denn irgendwann ist dieser Krieg zu Ende. Und dann sind die Leute gefragt, die wissen, wie man Friede macht.“
„Oma, meinst du das wirklich? Silke ist nicht überzeugt.
„Ja“, sagt Oma und nimmt ihre Silke in die Arme. „Glaub mir, die Panzer haben nicht das letzte Wort!“
Ein Text aus der „Silke und Oma“ Reihe von
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