„Erntedankfest? Wieso das denn?!“ sagt Silke. Die ganze Familie sitzt am Sonntagmorgen beim Frühstück zusammen. Auch Oma ist da. Und Vetter Peter. ( Silke findet ihn toll, weil er schon 20 ist und so gut aussieht!)
„Pass auf, dass dir der Honig nicht vom Brötchen tropft!“, ruft die Mama dazwischen.
„Aber, Silke,“ fragt Oma, „was hast du denn gegen das Erntedankfest?“
„Ach, das ist doch nur was für Bauern!“ meint das Kind. „Die ernten Kartoffeln oder Weizen und solche Sachen. Wir doch nicht!“
„Aber wir essen doch die Sachen, die die Bauern ernten!“, sagt Silke Vater, „also geht uns das Erntedankfest auch etwas an.“
„Siehst du“, meint Oma augenzwinkernd. „Da sind dein Papa und ich uns wieder einmal einig!“ Und ernst geworden, fügt sie hinzu: „Es gibt so viel, das uns die Natur schenkt. Uns geht es doch so gut. Wenn ich daran denke, wie es Opa Jakob und uns erging, als wir jung waren -“
„Ach, Oma, nicht schon wieder diese alten Geschichten!“ ruft Silkes Mama dazwischen.
Da sagt Peter, der bisher geschwiegen hatte: „Erntedankfest? Was ist das für Leute wie mich? Okay, ich hab einen guten Job. Aber so viele junge Leute in Spanien oder Griechenland, die möchten auch gerne arbeiten. Möchten was ernten, sozusagen. Aber da ist nichts! Erntedank für Arbeitslose?!“
Silke sieht ihren Vetter überrascht an. Was der für Gedanken im Kopf hat! Aber dann sagt sie: „Trotzdem, Peter, Papa hat recht! Es gibt viel zu danken. Nicht nur für Kartoffeln oder Bananen, sondern auch für die Autos und die Flugzeuge und für Reisen in den Urlaub -“
Da mischt sich Bruder Klaus ins Gespräch: „Ach, Silke, das ist doch Quatsch! Dieser ganze Konsum. Es gibt von allem zu viel. Und dann wird so viel weggeschmissen! Obstvernichtung und Erntedankfest! Schöne Mischung!“ Klaus holt tief Luft – da unterbricht ihn die Mama.
„Ach Klaus, verdirb’ uns doch nicht das schöne Frühstück!“ Aber wenn Klaus erst mal in Fahrt ist, dann ist er nicht zu stoppen. „Mama! Es ist doch so! Es wird produziert wie verrückt! Aber es wird schlecht verteilt. Warum gibt es denn noch so viele, die hungern? Und dann wird auch noch das Grundwasser vergiftet. Und die Luft. Und die Böden! Kann mir mal jemand diesen Wahnsinn erklären?“
Da niemand das konnte, wurde weiter gefrühstückt und über alles Mögliche geredet. Nur Oma blieb still. In sich gekehrt saß sie da.
Nach einer langen Weile räusperte sie sich und sagte: „Entschuldigt, wenn ich noch mal davon anfange. Vom Erntedankfest. Ich finde auch, dass es zu viel Wahnsinn gibt. Und dass sich sehr viel ändern muss. Aber wer fängt damit an? Das müssen doch wohl Menschen sein, die in sich gehen und sich besinnen?“
Alle blicken die Oma erstaunt an. Solche Reden hält sie eigentlich nie.
Und dann fügt sie noch hinzu: „Darum finde ich, dass das Erntedankfest nötig ist. Wir müssen danken. Dann können wir auch besser denken.“
„Oma!“ sagt Klaus anerkennend, „du bist ja eine richtige Philosophin!“
„Ach was“, entgegnet sie, „ich habe mich nur an einen Spruch erinnert -“
„An einen Spruch von Jesus?“ fährt Silke dazwischen.
„Nein, Silke. Diesmal nicht. Das hat ein anderer gesagt. Vielleicht war es Paulus.: „Macht euch nichts vor! Gott lässt sich nicht spotten. Was der Mensch sät, das wird er ernten.“ Oma macht eine Pause. „Ich muss immer daran denken“, sagt sie leise.
„Aber Oma!“ Silke schüttelt den Kopf. „Wir säen doch gar nicht!“
Ihr Vater mischt sich ein. „So meint Oma das auch gar nicht. Es ist so, dass wir für das, was wir tun, gerade stehen müssen. Auch für die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen.“
„Und auch mit der Natur!“, ergänzt Klaus. „Der Wahnsinn muss ein Ende haben!“
Ein Text aus der “Silke und Oma” Reihe von
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