Du musst ein Ziel vor Augen haben

PREDIGTNACHLESE

Predigt zu Phil 3,4-14 am 9. Sonntag nach Trinitatis, 18.8.2019, St. Ansgar

„Du musst ein Ziel vor Augen haben. Du musst es wollen.
Dann kriegst du vielleicht zumindest eine Siegerurkunde.“

Ich sehe ihn noch vor mir, unseren Sportlehrer Herrn Schattschneider:
Trainingsanzug, Trillerpfeife, Lockenkopf, Schnurrbart.
Bundesjugendspiele.
Höher, schneller, weiter.
Wer hat sich diesen Quark eigentlich ausgedacht?
Ich habs mal nachgelesen:
Die Bundesjugendspiele gehen zurück auf den Sportfunktionär Carl Diem,
(der übrigens auch den olympischen Fackellauf erfand), und der sich von sogenannten Reichswettkämpfe der 1920er Jahre inspirieren ließ.
Seit 1979 sind die Bundesjugendspiele verpflichtend an allen Schulen.
Weitwurf – konnte ich nie, weder von unten noch von oben.
Weitsprung – ging so, man durfte nur bei der Landung nicht zurückkippen.
Aber am schrecklichsten war Laufen

– immer um das eingegitterte Fußballfeld herum, ohne Ziel, immer im Kreis, bzw. im Viereck:
„Du musst ein Ziel vor Augen haben.“
Ich hatte Seitenstechen. Und tatsächlich einmal eine Siegerurkunde.
Eine Ehrenurkunde habe ich nie gesehen.
Ich lese den Philipperbrief und sehe Herrn Schattschneider vor mir:
Paulus Schattschneider.
Er sagt: „Ich strecke mich aus nach dem was vor mir liegt.
Ich laufe auf das Ziel zu, um den Siegespreis zu gewinnen!“
Ach nee, wenn Glaube wie Bundesjugendspiele ist, dann will ich damit nichts zu tun haben. Das klingt für mich viel zu sehr nach Leistung.
Aber ich lasse erst einmal unserem Trainer, Paulus, das Wort:
„Wenn sich also irgendjemand auf seine irdischen Vorzüge berufen will – ich hätte jedenfalls noch viel mehr Grund dazu. Ich wurde am achten Tag beschnitten. Ich gehöre zum Volk Israel, zum Stamm Benjamin. Ich bin ein Hebräer und stamme von Hebräern ab. (…)
Und was meine Treue gegenüber dem Gesetz betrifft:
Daran gab es nichts auszusetzen.
Aber alles, was mir damals als Vorteil erschien, betrachte ich jetzt als Nachteil – und zwar im Hinblick auf Christus. Ja wirklich: Ich betrachte es ausnahmslos als Nachteil. Dahinter steht die überwältigende Erkenntnis, dass Jesus Christus mein Herr ist!
Verglichen mit ihm ist alles andere wertlos geworden,
ja, in meinen Augen ist es nichts als Dreck!“ (Phil 3,4-8a i.A. BasisBibel)

Ein Dreck? Wörtlich übersetzt heißt das griechische Wort, das da steht, sogar „ein Scheißdreck“.
Paulus sagt: Meine Vergangenheit,
mein altes Leben war ein Scheißdreck!
Ganz schön krass.
Ja, Paulus hat mit seiner Vergangenheit gebrochen.
Er war ein frommer Jude aus bestem Haus, ordentlicher Beruf, alles wunderbar, und er war so überzeugt von seinem Glauben, dass er die ersten Christen verfolgte und wegen Gotteslästerung vor Gericht schleppte.
Eines Tages auf dem Weg nach Damaskus geschah es: Paulus hat eine Vision, hört die Stimme von Jesus und bekehrt sich. Sein Leben ändert sich radikal.
Aus dem Christenverfolger wird nun ein großer Missionar, der das Christentum in alle Welt bringt.
Aber deshalb die eigene Vergangenheit, das Leben als Jude als Scheißdreck zu bezeichnen?

Du bist, der du bist.
Und du kannst die Vergangenheit nicht abschütteln.
Du trägst dein ganzes Leben am Leib, wie einen Mantel.
Und du kannst aus dem Mantel deines Lebens nicht einfach ein Stück herausschneiden und sagen: Hat nie zur mir gehört.
Es ist deine Geschichte.
Und dein altes Leben, so weit weg es auch jetzt von dir jetzt sein mag, hat dich doch erst zu der Person gemacht, die du heute bist.
Es ist deine Geschichte.
Du bist der du bist.

Aber ich habe unseren Trainer unterbrochen.

“Ja, in meinen Augen ist es nichts als Dreck.
Das Einzige, was zählt, ist: Christus zu gewinnen und zu ihm zu gehören. Denn ich gelte nicht als gerecht, weil ich das Gesetz befolge, sondern weil ich an Christus glaube. (…)
Christus und die Kraft seiner Auferstehung möchte ich erfahren.
An seinem Leiden möchte ich teilhaben – bis dahin, dass ich ihm im Tod gleich werde. Das alles geschieht in der Hoffnung,
auch zur Auferstehung vom Tod zu gelangen.”
(Phil 3,8b-11 i.A., BasisBibel)

Wow… ganz und gar verschreibt sich Paulus seiner Sache. Darunter macht er es nicht.
Er erkennt:

Bei Gott kommt es nicht auf deine Herkunft an.
Egal ob dich deine Eltern geliebt haben oder geschlagen.
Egal ob ihr zuhause einen BMW stehen hattet oder ein gebrauchtes Fahrrad.
Und egal, was du bisher aus deinem Leben gemacht hast.
Ob du verbeamtet von A13 lebst oder arbeitslos von Hartz IV.
Es ist sogar total egal, wie oft du bisher in deinem Leben zur Kirche gegangen bist.

Du trägst dein ganzes Leben am Leib.
Und es ist vollkommen egal, wie der Mantel deines Lebens aussieht.
Gott nimmt dich mit jedem Mantel.
Er liebt dich und nimmt dich in die Arme.
Und dafür – damit er das tut! – brauchst du nichts zu leisten, nichts zu tun.
Du musst nur die Umarmung erwidern.
Deine Arme um Gott legen.
Das ist Glauben.
Wer an Gott glaubt, wer also in der Umarmung Gottes lebt, der geht seinen Lebensweg voller Vertrauen, gestärkt an Herz und Seele.

Der Weg des Paulus ist schon ein radikaler.
Durch alle Welt reist er, gründet überall Gemeinden, schreibt unzählige Briefe, geht für seinen Glauben ins Gefängnis.
Er ist unermüdlich.
Sein Leben ist eine Rennbahn.
Und das Ziel seiner Rennbahn ist es, am Ende so vielen Menschen wie möglich das Geschenk des Glaubens überreicht zu haben.

Kein Mensch – und kein Gott! – verlangt von uns, dasselbe zu tun.
Nicht jeder ist zum Missionar geboren.
Aber Gott verlangt schon von uns, das, was wir leben, bewusst und mit aller Konsequenz zu leben.

Letzte Woche ist sie losgesegelt.
Dieses unscheinbare Mädchen, dessen Gesicht inzwischen die ganze Welt kennt.
Greta Thunberg.
Mit einer Hochleistungsyacht will sie in gut zwei Wochen den Atlantik überqueren, um nach Amerika zu kommen.
Wow, was für ein Einsatz!
Ja, die ersten Kritiker haben ausgerechnet, dass die C02-Bilanz dieser Aktion doch ziemlich schlecht ist, weil die Mannschaft, die mitsegelt, wahrscheinlich zurückfliegen und andere wiederum in die USA fliegen, da wären die zwei Flugtickets für Greta und ihren Vater doch viel umweltfreundlicher gewesen… Egal!
Egal, es kommt auf das Zeichen an, das sie setzt.
Sie sagt: „Mir ist das Klima, mir ist die Zukunft unserer Welt so wichtig, dass ich selbst euch zeige, dass es auch anders geht.
Es gibt andere Wege.
Man muss sie nur nutzen.“

Ganz ehrlich, ich bewundere diese junge Frau für ihren Einsatz:
Ganz und gar verschreibt sie sich ihrer Sache.
Darunter macht sie es nicht.
Auf dem Segel ihres Schiffes steht:
A race we must win – Climate action now Klima-Aktion jetzt.
Ein Rennen, das wir gewinnen müssen.

Was Paulus schließlich noch sagt,
hätte so ähnlich auch Greta sagen können:

Ich möchte nicht behaupten, dass ich das alles schon erreicht habe oder bereits am Ziel bin. Aber ich laufe auf das Ziel zu, um es zu ergreifen (…) Brüder und Schwestern, ich bilde mir wirklich nicht ein, dass ich es schon geschafft habe.
Aber ich tue eines: (…) Ich strecke mich nach dem aus, was vor mir liegt. Ich laufe auf das Ziel zu, um den Siegespreis zu gewinnen:
die Teilhabe an der himmlischen Welt, zu der Gott uns durch Christus Jesus berufen hat.”
(Phil 3, 12-14 i.A., BasisBibel)

Martin Luther hat einmal gesagt: „Das Leben ist… nicht ein Frommsein, sondern ein Frommwerden, nicht eine Gesundheit, sondern ein Gesundwerden, (…) nicht eine Ruhe, sondern eine Übung.
Wir sind’s noch nicht, wir werden’s aber.
Es ist noch nicht getan oder geschehen, es ist aber im Gang und im Schwang.“

Ich sag‘s mal so:
Das Leben ist kein Hamsterrad und auch kein vergittertes Fußballfeld, wo es ohne Ziel immer im Kreis geht bzw. im Viereck.
Das Leben geht voran.
Und es gibt ein Ziel.
Du trägst dein ganzes Leben am Leib.
Trage den Mantel deines Lebens mit Stolz.
Und geh aufrecht deinen Weg.
Du musst kein Paulus sein und keine Greta.
Aber geh selbstbewusst deinen Weg.
Und ich verspreche dir:
Gott geht mit.
Gott ist bei dir.
Wie der Horizont, das Licht, der Wind.
Gott geht mit.
Und wenn du erschöpft bist, nimmt er dich in die Arme
und hält dich.

Am Ende des Weges aber wird er dir keine Ehrenurkunde überreichen und auch keine Siegerurkunde.
Er wird dir die Hand reichen und dir die Tür öffnen zur himmlischen Welt, dazu du berufen bist.

Amen.